Heute Morgen erreichte mich ein wunderbares Gebet, in dem ich mich grad wiederfand:
Lieber Gott, bis jetzt geht’s mir gut.
Ich habe noch nicht getratscht, die Beherrschung
verloren, war noch nicht muffelig, gehässig, egoistisch oder zügellos.
Ich habe noch nicht gejammert, geklagt, geflucht oder Schokolade gegessen.
Die Kreditkarte habe ich auch noch nicht belastet.
Aber etwa in einer Minute werde ich aus dem Bett klettern und dann brauche ich wirklich Deine Hilfe!
(Verf. unbekannt). Text von heute Morgen im „Anderen Advent“.
Hildi, Franz und ich mussten lachen, als ich den Text vorlas. Und wahrscheinlich bin ich nicht die einzige, die sich in diesen Worten, hie und da erkennt…
Liebe Esther
Wie schön diese zeitgemässe Variante in unseren Mühen gegen die alltäglichen Versuchungen. Hier die Variante aus der Gegend, die Ihr begangen habt, von Ephraim dem Syrer (Franz fragen ):
„Herr und Meister meines Lebens,
überlass mich nicht dem Gest der Trägheit,
der Mutlosigkeit, der Herrschsucht oder eitler Worte.
Gib mir, Deinem Diener,
die Gnade des Geistes der Unbescholtenheit und der Demut,
der Geduld und der Liebe.
Herr, gewähre mir, meine Fehler zu sehen
und nicht über meinen Bruder zu urteilen.
Du, hochgelobt von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Die Dienerinnen und Schwestern sind mitgemeint. Das Gebet kann doch auch als Gedicht durchgehen? Denn ich möchte auch eine Karte erhalten. Und ab sofort verwende ich die moderne Variante.
Christina von Waldkirch, Igelrain 9, CH-3036 Detligen
Liebe Christina,
selbstverständlich gilt dein Gebet, die Adresse steht schon auf der Karte, wie Hildi geschrieben hat. Und Franz Gabe ich natürlich sofort gefragt, wer immer er sei der Schreiber, er hat es gut formuliert.
Lieber Gruß Esther
Ob ein alter Text heute noch seine Wirkung hat? Ein Gebet? Worte und ihre Anspielungen? Die Emotionen, die mit ihnen verknüpft gewesen sind? Ist es möglich, dass etwas von ihnen rekonstruierbar ist? Und lohnt sich überhaupt die Mühe, zu versuchen, sich in diese Situation einzufühlen? Ich versuche es, aber ich kann alle diese Fragen nicht beantworten. So wäre es besser still zu sein. Und doch denke ich an Esther, stelle mir vor, sie zu kennen, und kenne sie nicht. Noch weniger Christina, die geantwortet hat. Und Gott, an den Gebete gerichtet sind? Ich stelle mir vor, dass Gott in die Welt gekommen ist, dass er wie Johannes und einer der Schweizer Theologen, geworden ist, wie wir sind: Verbum caro. Das Wort ist Mensch geworden. So konkret, so anschaulich, und doch weiss ich nicht einmal, ob ich diese Worte verstehe. Ob Hans Urs von Balthasar, ob Johannes, ob Esther.
Lieber Beat,
Texte, so glaube ich haben immer eine Wirkung. Aber das mit dem Kennen ist tatsächlich so eine Sache. Kenne ich mich denn selber?
Lieber Adventsgruss
Esther
Ein paar Stunden später – nach der Arbeit – nehme ich den Gedanken wieder auf, den ich versuchte zu formulieren. Aber ich erkenne ihn in meinem Text nicht. Ich werfe mir vor, ihn nicht richtig formuliert zu haben, es hat ja allein schon Fehler in der Rechtschreibung. Ich sehe den Blog zwar als etwas Ephemeres, wir schreiben, so denke ich, so wie wir vieles täglich tun. Es zeugt von dem, was im Augenblick möglich ist. Und vor allem von der Entscheidung, ein Unternehmen zu unterstützen, sich zu ihm zu bekennen, sich in einem Blog einzuschreiben ähnlich wie ich in einer Kirche bete, was auch von einer Entscheidung zeugt. Sicher, es soll gut sein, was man schreibt. Und doch es ist nur, wie es ist. Ein Tun. Wenn ich also auf Worte stosse, so meine eigenen und mich nicht wieder erkennen will, sie kritisiere, ablehne, so sind es doch meine Spuren, meine Worte. Und so auch die Zeichen anderer Menschen. Und das Wort, das wir als Gottes Wort bezeichnen, eben das Wort, das Fleisch annimmt, um noch einmal am Gedanken des Nachmittages anzuknüpfen (Johannesevangelium, Hans Urs von Balthasar), auf das wir gewissermassen im Advent zugehen, – wie steht es damit? Die Scheu es auszusprechen, weil das Wort dann verändert werden kann, zu etwas Falschem, Menschlichen wird, sie ist genauso da wie der Wunsch zu sprechen und zu verstehen. Menschlich muss es ja sein. Es geht um die Vermittlung. Kennen im Nichtkennen und Nichtkennen im Kennen. Worte, die sich zu Texten fügen, von Wirkungen zeugen und Wirkungen zeitigen, ohne zugleich so bewirkt zu sein, wie sie bewirkt werden wollten und ohne jene Wirkungen zu entfalten, die wir von ihnen erwarteten. So ist es vielleicht auch mit uns. Vielleicht auch mit dem Advent. Vielleicht auch mit Jerusalem. So wichtig sicherlich: die Hoffnung.
Liebe Esther und Hildegard. Wie bin ich glücklich, dass ihr aus der Gefahrenzone heraus seid!
Kindheitserinnerung des Advents: Unvergessen sind die täglich besuchten Roratemessen ganz früh am Morgen. Das Opfer um 5.00h resp. 6.ooh aufzustehen, war es wert. So ganz im Dunkeln, damals ohne Strassenlampen, dann die Kirche vom Kerzenlicht erhellt, unglaublich schön. Da liess es sich gut singen und beten. Mit jedem Tag näher beim Christkind. DAS WAR ADVENT!
So gesehen ist auch eure Pilgerreise wahrhaft Advent.
Mit lb. Gruss Rita
Lieber Beat….
deine beiden Antworten vom 1.Dezember berühren mich sehr !! Der kleine Satz:“So wäre es besser still zu sein“ ist tief in meinem Herzen lebendig…
ich danke dir dafür ! Gabrielle