Atatürk – Vater der Türken

Wie überall in der Türkei ist auch in den ländlichen Dörfern, durch die wir pilgern, Atatürk in Bild oder Statue allgegenwärtig. Oft steht dazu der berühmte Satz von ihm: „Ne mutlu Türküm dyiene.“ Zu Deutsch: „Wie glücklich, wer von sich sagen kann: Ich bin ein Türke.“ Ein kritisch denkender Türke sagte mir nicht ohne Ironie: „Für uns Türken gilt ‚Allah huakbar‘, ‚Gott ist grösser‘, doch ob danach Mohammed oder Atatürk folgt, hängt davon ab, ob jemand mehr religiös oder säkular ist. Oft bleibt es unentschieden.“ Diese Aussage hat vielleicht mehr Wahrheitsgehalt als einem lieb ist. Auf alle Fälle wird bis heute in den Schulen an jedem Morgen die Nationalhymne gesungen. Als Eid wird danach folgender Text gesprochen, dem das Zitat entnommen ist: „Ich bin Türke, ehrlich und fleißig. Mein Gesetz ist es, meine Jüngeren zu schützen, meine Älteren zu achten, meine Heimat und meine Nation mehr zu lieben als mich selbst. Mein Ideal ist es aufzusteigen, voranzugehen. O großer Atatürk! Ich schwöre, dass ich unaufhaltsam auf dem von dir eröffneten Weg zu dem von dir gezeigten Ziel streben werde. Mein Dasein soll der türkischen Existenz ein Geschenk sein. Wie glücklich derjenige, der sagt ,Ich bin Türke‘!“ Atatürks Vision einer säkularen und modernen Türkei, wie sie ihm in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts nach dem Vorbild Frankreichs vorgeschwebt hat, hat auch hier auf dem Land Fuss gefasst. So ist neben dem islamisch geprägten Dorfleben auch das säkulare Erbe Seite an Seite zu finden. Für mich als Beobachter spannend, wie hier Religion und Moderne miteinander ringen. Die Frage ist, wie sich dieses Verhältnis in der Zukunft entwickelt.

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4 Kommentare zu Atatürk – Vater der Türken

  1. Ute sagt:

    Lieber Christian,
    Es ist so interessant, so frisch aus dem Land importierte Erlebnisse zu erfahren, die wir hier gar nicht so zu Ohren bekämen. Es ist gut, wenn man alles von verschiedenen Seiten anschauen kann. Und immer wieder fühle ich mich nochmal mehr veranlasst, die eine göttliche Kraft um Erbarmen zu bitten.
    Was Ihr so alles erlebt, wird auch durch Euch hindurch anders gestaltete Auswirkungen haben. Ich denke mir das so.
    In diesem Sinne allen liebe Grüsse
    Ute

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Ute
      Ich bin schon oft mit Gruppen in der Türkei gereist, meistens zu den grossen Sehenswürdigkeiten. Zu viert als Pilger kommen wir nun in normale Dörfer und erleben das Land viel ursprünglicher. Auch für mich ist so jedet Tag immer eine neue Erfahrung. Dafür bin ich sehr dankbar.
      Mit liebem Gruss, Christian

  2. Pia Kutschera sagt:

    Lieber Christian,
    die Frage, die Du heute implizierst, finde ich sehr wichtig. Nämlich:
    Zu welchen Glaubensbekenntnissen bekenne ich mich? Zu welchen
    kulturellen, nationalen, familären, ethischen, religiösen…? Und wie beeinflussen sie meine persönliche Entwicklung? Hierarchisiere ich sie oder bin ich „alles irgendwie“? Welche Entschlüsse und Handlungen leite ich davon ab? Sind das die Überlebensfragen der Menschheit?
    Wir hatten hier in Deutschland diese Woche Nationalfeiertag, letzte Woche hat uns der Papst „Entweltlichung“ empfohlen.
    Spannende Fragen. Ob sich dazu mal ein Seminar im Haus lohnen würde?
    Dir weiterhin Beobachtungen mit offenen Augen und geöffnetem Herzen!
    Pia

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Pia
      Ja, der Blick in die Türkei, wie auch nach Israel lohnt sich, denn je werden europäische Ideen der Säkularisierung und des Nationalismus in den Vorderen Orient eingepflanzt. Was sich in der christlichen Kultur ausdifferenziert hat, wird in die islamischen und jüdischen Welt übertragen. Für solche Prozesse habe ich immer ein offenes Auge.
      Mit liebem Gruss
      Christian