Der Autodidakt und der Fantast

Heute kommen wir in das kleine Dorf Köprüören und werden auf Deutsch im Teehaus begrüsst. Rasch stellt sich heraus, dass in diesem Bauerndorf auf der anatolischen Hochebene fast jeder etwas Deutsch spricht. 500 Personen aus dem Dorf seien im Kölner Raum am Arbeiten oder wären eine Zeit da gewesen und wieder zurückgekehrt. Weil in diesem abgelegenen Ort keine Arbeit ist, sind die Menschen also nach Deutschland ausgewandert.
Zwei Männer sind mir im Gespräch aufgefallen: Der Eine, der den Dorfladen führt, war ein Autodidakt wie im Buch. Er erzählte in perfektem Deutsch, er wäre nur zwei Jahre in Deutschland gewesen, hätte da aber am Goethe-Institut Deutsch gelernt. Früher hat er auch Französisch gelernt und, weil er täglich im Koran lesen will, auch etwas Arabisch. Er kennt sich vor allem in Musik aus, von Bach über Mozart bis zu Celin Dion und Pink Floyd. Der Andere hat sich vom ersten Satz an als Fantast erwiesen. Helmut Kohl wäre eigentlich Jude und hätte ursprünglich Heinrich Cohen geheissen, meint er. Und Angela Merkel sei die Tochter von Adolph Hitler, fügte er fast wertschätzend hinzu. Weiter erzählte er, die deutsche Regierung handle Geschäfte über ihn ab und er hätte hier in Anatolien Funde gemacht, gemäss denen die ganze Kirchengeschichte neu geschrieben werden müsste. Von der Kabbala und Gins, den Geistern im islamischen Volksglauben begann er zu berichten, und brachte schliesslich eine Luther Bibel und ein Stück Papier aus der Nazizeit herbei, worauf von einem Endzeitkampf etwas stand.
Die Gespräche mit den beiden Männern innerhalb unserer Teepause von 20 Minuten, waren für mich äusserst interessant. Ich habe nichts von mir erzählt oder eine Aussage korrigiert, sondern nur zugehört und nachgefragt, um zu verstehen, wie ein solcher „Psychopat“ und dieser Autodidakt „ticken“. Toll, welche Menschen wir unterwegs treffen, und toll, dass wir nach kurzer Zeit wieder aufbrechen und sie zurücklassen können.

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