Wir sitzen am Morgen um 5.00 im Lokal mit leichtem Rotlicht. Die Fenster sind offen zum Lüften und ein frischer Morgenwind weht in den Vorhängen. Die Musikanlage eben abgestellt, dass nur noch ein Rauschen kommt. Auf der Musikbühne ist schon aufgeräumt. Fünf Kellner in weissen Hemden, Kravatte und schwarzen Hosen sitzen am Tisch und essen etwas. Die Arbeit der Nacht ist getan und das Geschäft scheint gut gelaufen zu sein, denn fast alle Tische sehen benutzt aus. Nun gilt es für die Herren nur noch das Frühstück diesen vier Pilgern servieren. Hier weiss man, wie man in der Nacht die Gäste bedient, denn unser Frühstück mit Tomaten, Oliven, Käse, Wurst und Ei ist ausgezeichnet. Freundlich weren wir bedient.
Die roten Lichtleinen an der Fassade werden gelöscht, denn der Parkplatz ist nun wieder leer und neue Gäste sind in dieser Morgenstunde nicht mehr zu erwarten. Auch auf der Etage haben sich die Damen schon zurück gezogen. Wir Pilger haben in diesem Etablissement gut übernachtet; eine andere Lokalität wäre in der Umgebung nicht zur Verfügung gestanden. Als wir am Vortag ankamen und feststellten, wo wir hier übernachten, machten wir uns auf einiges gefasst. Vor allem konnte man nur das Zimmer von Hildegard und Esther mit einem Schlüssel schliessen, doch im Zimmer von Franz und mir, hatten wir uns damit beholfen, dass wir den Zimmertisch von innen an die Tür rückten, so dass diese nicht leicht geöffnet werden konnte. Doch dies wäre nicht nötig gewesen. Auch der Lärm in den Gängen war nachts nicht anders als in andern Hotels. Von unten hörte man leise die Musik heraufdringen, doch unseren Schlaf störte mehr das Gebell der Hunde im Hinterhof.
Nach dem reichlichen und guten Frühstück machten wir unser kurzes Morgengebet vor dem Eingang unseres „Hotels“ und machten uns auf der Umfahrungsstrasse von Büyük Karistiran auf den Weg. Nach dem Dorf kam nicht die weite offene Landschaft wie in den Vortagen, sondern eine Industrieanlage nach der andern. Wir wussten noch nicht, dass Industrie unseren Weg den ganzen Tag säumen sollte. Da die Dunkelheit zu weichen und es eben zu dämmern begann, wurden die Lagerhallen und Fabrikbauten, die Schornsteine und Strommasten in das Licht es Morgenrots gehüllt. Es entstand mit den gelben Lampen rund um die Areale und dem frühen Tageslicht in den Glasfasaden der Direktionsgebäude fast eine Industrieromantik. An den rot-weiss gestreiften Kaminen, die zum Himmel rauchten, blinkten die roten Lichter der Flugzeugwarnung. Rot leuchteten auch die Rücklichter der ersten Lastwagen. Und die türkischen Flaggen, an zahlreichen Industriekomplexen angebracht, wehten mit Halbmond und Stern rot im Wind. Wir Pilger wussten: Wir sind immer noch im Rotlichtviertel.
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