Wir besteigen heute das Schiff und gönnen uns eine Rundfahrt auf dem Bosporus. Da, wo wir bis zum Schwarzen Meer sehen, steigen wir aus, überwinden die Essensangebote der ersten Fischrestaurants und steigen Richtung Burg. Hier nehmen auch wir Platz. Geniessen den Blick aufs Meer, gebratene Miesmuscheln, Scholle, Ruccolasalat. Im Hintergrund läuft Musik – Geige und Klavier – in einer Melancholie, die mich entspannt, auf der ich schwimmen kann. Mir geht durch den Kopf, dass angesagt ist, nach dem Essen die letzten Meter bis zur Burg zu erklimmen. Ich habe keine Lust und kann mir heute leisten, diesem Gefühl nachzugeben. Ich kann einfach sitzen bleiben, das angefangene Buch nehmen, nochmals Kaffee bestellen und lesen. Orhan Pamuk, sein Buch „Istanbul“, ist mir in einer Buchhandlung mit deutschsprachiger Literatur in die Hände gefallen. Des Schriftstellers Stadt, seine Biographie mit ihr. Wunderbar. Ich lese ziemlich zu Beginn, S. 13: Wer sich nur einigermassen mit Sinnfragen beschäftigt, der wird wenigstens einmal im Leben darüber nachdenken, warum er gerade in diese Zeit und diesen Ort hineingeboren ist… Ich lege das Buch weg, schaue auf den Bosporus und denke über diese Frage nach. Lesen, gute Bücher lesen dürfen, ist so etwas Wunderbares für mich!
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Meta
Liebe Pilgerinnen und Pilger
Eure Ankunft in Istanbul hat mich gerührt, obwohl ich ja auch schon dort , der Stadt meiner griechischen Mutter, -Gott hab sie selig-, war. In den letzten Jahren sind, gleichsam kurz vor dem unwiederbringlichem Verschwinden der Erinnerung, einige literarische Werke, die sich auf das frühere, kosmopolitische Leben beziehen, erschienen. Neben Pamuk auch Mario Levi, ein alteingesessener türkischer Jude und Sozologieprofessor mit seinem Roman „Isanbul war ein Märchen“. Dann auch Petros Markaris, der heute in Athen lebt und griechisch und deutsch schreibt, Sohn eines armenischen Vaters und einer griechischer Mutter, Absolvent des St. Georg-Gymnasiums (!). Sein Krimi „Die Kinderfrau“ schildert die Wirrungen des übriggebliebenen Restes der griechischen Gesellschaft von Isanbul und das Gefühl des Fremdseins einer eigentlich autochthonen Minderheit. Diese Bücher sind symptomatisch für die verlorene Zeit: Die Generation, welche diese selber erlebt hat, ist in den letzten Jahren ausgestorben, deren auch schon alte Kinder haben noch Geschichten darüber gehört, die Jungen wissen nichts mehr. Die 15 Milionen Zuwanderer aus Kleinasien der letzten 30 Jahre haben kaum ein Bewusstsein darüber. Die Politik der nationalen Einheit hat das gegen alle sichtbaren Zeitzeugen erfolgreich unterbunden. Fereundschaft und Feindschaft sind in dieser Stadt nahe bei einander.
Ich wünsche Euch gutes Gelingen der Begegnungstage und ein Auge für die geschichtsträchtigen Überreste in dieser Stadt, die sich einst für das Zentrum der Christenheit und der Welt hielt.
Liebe Christina, danke für deine weiteren Buchtipps. Wir genossen heute die Stadt vor allem vom Schiff aus, das uns zu den Prinzeninseln brachte. Herzlich Hildegard
An die mir unbekannte Hildegard. Ich hoffe doch, dass beim Lesen der spannenden Lektüre nicht vergessen ging, ein Papier unter die Schuhe zu legen. Pilgern heisst ja auch Sorge tragen zur Schöpfung. Oder will die Foto provozieren, genau wie diejenige aus dem Schönheitssalon?