Der Offizier, die Zigeuner und das Rehabilitationszentrum

Vierundzwanzig Stunden voller Überraschungen:
Gestern Abend ging Franz zur Tankstelle in Ralja, um nach einem Zimmer für uns zu fragen. Esther, Hildegard und ich sassen auf dem Dorfplatz, und ich dachte schon daran, nach Franz zu sehen, der so lange weg blieb. Doch da kam ein Audi daher gefahren und schwenkte ein, um gleich bei uns zu parkieren, ein älterer Herr am Steuer und Franz auf dem Rücksitz mit seinem Hut. Es sah aus, als hätte Prof. Mali einen Privatchauffeur gefunden. Wir drei lachten von Herzen. Der „Privatchauffeur“ wollte uns also in seinem Haus für die Nacht unterbringen. Wir stiegen ein und wir fuhren aus dem Dorf in den nächsten Ort. Wir, nun mit unseren grossen Rucksäcken ins Auto gequätscht, wussten nicht genau, wohin es geht, doch gelangten vor ein Haus mit Garten, wo der Herr wohnte. Es stellte sich bald heraus, das dies sein Landhaus war und er eigentlich in Belgrad wohnt. Beim Zeigen der Zimmer fiel mir der Hut der Militäruniform auf einem Gestell auf und ich fragte, ob er in der Armee gewesen sei. Er entgegnete, dass er Radiologe im Armeespital im Luglijana war und zeigte mir und Franz gleich stolz seine ganze Uniform. Franz fragte: “ Sie waren Offizier?“ Die Antwort kam sofort: “ Ein hoher Offizier.“ Ich ging nicht weiter darauf ein, doch wollte ich die Gelegemheit, bei einem serbischen Offizier Gast zu sein, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Beim Gespräch später fragte ich ihn über den Krieg. „Eine schwierige Sache,“ begann er und erzählte, wie er von einem Tag auf den andern in Slowenien als Besetzer angesehen wurde, obwohl er da über 30 Jahre als Armeearzt gearbeitet hatte. Angesichts der schwierigen sprachlichen Kommunukation erfuhren wir nur, dass er dann nach Belgrad zog. Weitere Details waren nicht zu erfahren. Doch der Mann machte einen sehr gealterten und ausgelaugten Eindruck auf uns. Die Geschichte dahinter war aber nicht zu erfahren.

Am andern Morgen wurden wir von unserem Offizier wieder nach Ralja gefahren und machten uns auf den Weg. Nach 10.00 Uhr kamen wir in ein Dorf mit auffallend herausgeputzten Häusern, ja fast kitschigen Gartenzäunen und Ballustraden an den Balkonen. Wir kommen mit einer dunkelhäutigen Frau über den Gartenzaun ins Gespräch, die in einem echten Wienerdialekt spricht. Wir werden zu Getränk und Kaffee gebeten und erfahren von ihrem Mann rasch, dass sie Zigeuner sind. Nun haben wir also andere Repräsentanten der serbischen Gesellschaft als Gegenüber. Wir erzählen, dass wir schmuddelige Romasiedlungen gesehen haben, worauf unser Gastgeber antwortet, es gebe eben auch arme Romas. Er, seine Familie und viele seiner Freunde wären in den 60er un 70er Jahren nach Wien, hätten dort über 40 Jahre gearbeitet und mit dem Geld hier die Häuser in ihrer Heimat aufgebaut. Nun in der Zeit der Pension sind sie zurück gekehrt, doch die Kinder lebten weiter in Wien. Sie kommen nur für die Ferien nach Serbien zurück. Unser anregendes Gespräch gibt einen eindrücklichen Einblick in die Familie dieser arrivierten Zigeuner.

Am Nachmittag kommen wir in Mladenovac an, marschieren durch die ganze Stadt bis wir zu einem Gebäude kommen, wo man uns hinschickte, um übernachten zu können. Hotels oder Pensionen gibt es in dieser nicht kleinen Stadt nicht. Endlich am empfohlenen Ort angekommen, stellen wir fest, dass es ein Rehabilitationszentrum ist. Was sollen wir tun? Wir gehen zur Reception, erklären uns und fragen nach Unterkunft. Die Dame ist zunächst sehr reserviert und meint, wir hätten buchen müssen. Schliesslich wird sie zugänglicher und versucht, für uns im sehr belegten Haus noch Betten zu finden. Nach Telephonaten gelingt es, dass wir für Esther und Hildegard ein Doppelzimmer erhalten, Franz und ich werden jedoch je in ein Dreibettzimmer eingeteilt, wo je bereits zwei Patienten untergebracht sind. Wir gehen mit unseren Schlüsseln auf Zimmersuche. Doch oh du Schreck: Franz und ich landen je in einem Frauenzimmer und werden gleich wieder auf den Flur gestellt. Wir treffen uns also wieder an der Reception, wo sich die Dame entschuldigt. Es gibt schliesslich keine andere Lösung: Die beiden Männer ins Doppelzimmer und Hildegard und Esther werden den Frauenzimmern zugeteilt. Doch den Nachmittag und Abend, vor dem Schlafengehen, verbringen wir vier Pilger im Doppelzimmer. – Rehabilitationszentrum, noch eine andere Erfahrung in Serbien.

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8 Kommentare zu Der Offizier, die Zigeuner und das Rehabilitationszentrum

  1. anyone sagt:

    Oioioi, Hildegard, das wird ja immer wilder…., schlaf gut auch diese Nacht (immerhin wohl in einem richtigen Bett…), – bei den Beschreibungen der letzten Tage hätt man ja fast ein bisschen „neidisch“ werden können, was, ichweissichweiss, man ja nicht sollt. Im Moment gefeit davor…-

    • Hildegard Aepli sagt:

      My dear, letzte nacht hatten wir ein richtiges bett, 90×180 cm ptivatsphäre und heute vor dem loslaufen einen kaffee. Alles zusammen fühlt sich an wie sonntag. Herzlich hildegard

  2. Madeleine Wirthner sagt:

    Hallo ihr Pilger, jeden Tag sehe ich mir die Berichte mit all euren Erlebnis-sen , mit positiven und negativen Erfahrungen an und spüre, erahne die
    verschiedenen Gemütslagen. Ich wünsche euch weiterhin gutes Gelingen,
    viel Kraft das Gespür, dass ihr von viele begleitet seid.
    Franz ist wieder in Zug, hat am 2. August seine 2. Nukleartherapie. Hoffen
    wir, dass damit auch geholfen werden kann. Gottes Segen begleite uns
    Euch viel Gutes Madeleine

    • Hildegard Aepli sagt:

      Liebe madeleine, wir haben an deinem namenstag besonders für dich gebetet und an dich gedacht. Wir freuen uns sehr, dass du uns begleitest. Sag auch franz einen gruss vom pilgerquartett. In herzlicher verbundenheit. Hildegard

  3. ljudmila schmid sagt:

    Meine lieben Pilger, Hildegard hat die Pflaume/sljiva – Pflümliwasser=sljivovica recht gelobt, jedoch bitte Mass halten …Ich bete heute für Euch mit der Musik am Abend, weil J.S.Bach heute geboren wurde. Euer Offizier hat mich beeindruckt, weil er die“ Balkanlast“ zu tragen hatte. Gott segne Euch und gebe Euch die Weisheit zu reden und zu schweigen, wenn nötig… Mit aufrichtigem Reisesegen Ljudmila Schmid

  4. Karsten Gerber sagt:

    Hallo Christian,
    ich grüße Dich/Euch.
    An der Grenze von Serbien zum Kosovo ist es zu lokal begrenzten Unruhen gekommen. Bekommt Ihr davon etwas mit. Wie ist die Stimmung in Serbien bezüglich des Kosovos?
    Viele Grüße
    Karsten Gerber

    • Christian Rutishauser sagt:

      Lieber Karsten, wir gehen hier über Land und erfahren über die Politik fast nur aus den Medien. o bist Du wohl besser informiert als wir. Mit liebem Gruss, Christian

  5. Miran sagt:

    Hi!
    Armeespital im Luglijana … is very probably in Ljubljana … I was there once … I guess it was quite hard also for those officers, who left for Serbia in 1991. (BTW: from that Armeespital, they took all, even light switches (Schalter und Stecker))
    However: some remained as civilians; and those doctors made a private clinic, where our faculty sent us for the mandatory medical tests … 🙂
    Anyhow: as I told you: you will experience much more friendly reception more you go south …
    Wish you good continuation! I follow your way.
    fr. Miran