211. Tag: Wallfahren heisst für mich… (XIX)

Wallfahren heisst für mich: verweilen – ruhen dürfen.

Damit meine ich nicht die tägliche Ruhe beim Schlafen oder sonstigen Ausruhen. Hier meine ich das Verweilen und Ausruhen angesichts des Gekreuzigten.

Auf dem Weg hatten wir oft Zeit für Gebet, Momente, um bei Jesus auszuruhen, aber es war jeden Tag nur eine kurze Zeit. Jeden Tag galt es weiterzugehen, voranzuschreiten. Wallfahren ist da gerade nicht bleiben oder sich aufhalten, noch sich installieren oder sich einrichten, sondern es ist unterwegs sein.

Herz und Pilgerband am Fuss des Kreuzes

Jetzt am Ziel angelangt ist das anders: Jetzt ist Zeit zu verweilen, jetzt darf ich zur Ruhe kommen.
Einfach da sein dürfen unter deinem Kreuz, mich hinzusetzen oder hinzuknien, nicht bloss für einen Moment, sondern vielleicht für eine Stunde oder mehr: deine hingebende Liebe, Herr Jesus, auf mich wirken lassen. Mich ganz öffnen, dass du in mir wirken kannst, dass deine liebenden Augen mich ganz durchscheinen. Das grosse Geheimnis des Vaters erahnen, der dich, Herr Jesus, mir, uns, der ganzen Welt schenkt und dich durch jede Not hindurch rettet, an der Hand nimmt und auferweckt.

Dein Kreuz ist nicht nur das Zeichen und Werkzeug des Leidens, der Tortur, des Sterbens und des Todes – es ist das Zeichen der Hingabe, wo du Jesus den Tod besiegt hast, weil du dich von diesem Tod besiegen hast lassen. In dieser Todesverzweiflung hast du das Vertrauen, dich in die Hand Gottes, des Vaters, zu wagen. Er wird dich auferwecken – er hat dich auferweckt.

Da sitzen dürfen, da knien dürfen, da beten dürfen, wo es Platz hat, wo ich bleiben darf. Es ist wohl die einzige Kirche, wo ich eine ganze Nacht verbringen kann. Wenn ich die Erlaubnis habe – wie es Brauch ist – kann ich die ganze Nacht in dieser Kirche ganz offiziell bleiben.

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2 Kommentare zu 211. Tag: Wallfahren heisst für mich… (XIX)

  1. Esther sagt:

    Lieber Franz
    Für mich sind das nächtliche Verweilen in der Auferstehungskirche, das Beten, die Gesänge der orthodoxen Kirchen, das Erahnen der Nähe des Auferstandenen und das Wissen: die Pforte ist zu, ich kann IHM nicht ausweichen und darf einfach da sein in seinem Dasein, die stärksten und wichtigsten Eindrücke der letzten Jahre. Ich bewahre sie sorgsam, und wenn mich im Alltag hier Zweifel befallen, kann ich sie als heilsame Erfahrung aufrufen.
    Ich danke Dir sehr herzlich für deine wunderbaren Berichte „Wallfahren heisst für mich*… Ich finde mich beinahe in jedem Bericht wieder, auch wenn meine Wallfahrt seit 6 Monaten wegen meiner Fuss-Op. auf kleinstem Raum stattgefunden hat. Im Gebet war ich aber täglich mit Euch und Eurem Ziel verbunden.
    Mit den besten Wünschen zum „rosh haschanna“, Esther (aus der letzten Lehrgang christliche Spiritualität.)

    • Franz Mali sagt:

      Liebe Esther,
      vielen Dank für deine Rückmeldung! Es freut mich sehr! Ich habe mir auch überlegt, eine Nacht in der Grabeskirche zu verbringen. Ein paar Personen unserer Gruppe haben das auch gemacht. Ich dachte mir, ich behalte es noch für das nächste Mal auf. Da will ich es machen.
      Ganz herzlich
      Franz