Das Opfer, die Pilger und die Kuh

In der Türkei wurden wir Pilger mit dem kleinen Beiramfest zum Ende des Ramazan begrüsst und nun, 70 Tage später, werden wir mit dem grossen Beiram verabschiedet. Am ersten Abend in Edirne wurde gerade die Nacht der Herabkunft des Koran gefeiert und am letzten Tag unseres Pilgerns in diesem Land wird das Opferfest gefeiert, das die Muslime an die „Opferung“ Isamaels durch Abraham erinnert. Zum jährlichen Hadsch haben sich dazu über zwei Milionen Muslime in Mekka eingefunden. Auch hier in der Türkei ist Ferien- und Feiertagsstimmung. So haben wir in diesen Tagen immer wieder Schafe und Ziegen gesehen, die zur Schlachtung und Opferung verkauft oder sonst vorbereitet wurden. Wir Pilger sind heute jedoch unverhofft einer Kuh ganz nahe gekommen:
In Şenköy angekommen, war es klar, das wir hier keine Übernachtungsmöglichkeit finden und zu einer Pension in der Nähe fahren müssen. Da ich beim Autostop schon des öftern ein gutes Händchen hatte, meinten meine Mitpilger, ich sollte mich an die Strasse stellen. Noch eine Mandarine schälend, stellte ich mich an den Strassenrand. Auch dieses Mal funktionierte es, und der erste Lieferwagen hielt an. Ich ging zum Fahrer, öffnete die Tür und fragte, ob wir mitfahren können, worauf er sofort nickte. Ich sah nur die beiden Plätze in der Fahrerkabine frei und meinte, wir wären auch bereit, hinten einzusteigen. Er winkte ab: „Nein nur hier, zu viert geht das.“ Ich dachte an unsere Rucksäcke und sagte, es wäre unmöglich. In meiner Zeichensprache, denn der Mann verstand nur Türkisch, gab ich zu verstehen, wir könnten jedoch die Rucksäcke im Laderaum verstauen. So stieg er aus, wir gingen zur Rückseite des Wagens und er liess die Lade runter. Was war da drin: eine Kuh! In der Zwischenzeit waren auch Franz, Esther und Hildegard hinzugekommen und starrten in den mistverschmierten Lieferwagen. Auch die Kuh selbst war nicht sehr gepflegt und sauber. Während wir noch staunten und nicht wussten, wie wir reagieren sollten, holte der Fahrer aus der Vorderkabine grosse, schwarze Plastiksäcke und gab zu verstehen, dass jeder einzelne Rucksack nun verpackt und zur Kuh hingestellt werde. Dabei waren wir behilflich. Noch während wir unsere Rucksäcke einpackten, hielten zwei kleine Linienbusse, die uns hätten mitnehmen wollen. Doch die Hilfsbereitschaft unseres Fahrers wollten wir nicht bremsen und blieben dabei: ein Fahrer, vier Pilger mit Rucksäcken und die Kuh. So fuhren wir, eingequätscht in der Fahrerkabine bis zum nächsten Hotel, wo wir ausstiegen und unsere Rucksäcke von der Ladebühne holten. Die Kuh sah ruhig zu. Als wir die Rucksäcke aus dem Plastik befreit hatten, war nur an den Rucksäcken von Franz und Hildegard je eine kleine Mistspur hängen geblieben. Beim Fahrer bedankten wir uns mit einem Päckchen Zigarette, das wir für solche Fälle stets bei uns haben, und wünschten ihm ein frohes Opferfest.

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5 Kommentare zu Das Opfer, die Pilger und die Kuh

  1. Petra sagt:

    Liebe Pilgerinnen und Pilger,
    da wird mir ja echt etwas fehlen, wenn ich euch nicht mehr per Blog ‚verfolgen kann‘ 🙁 habe aber natürlich volles Verständnis dafür.
    Ich wünsche euch von Herzen SCHALOM und bhüet-euch Gott, Petra

  2. Pia sagt:

    Lieber Christian,
    da ich nicht weiß, wann der Blog abgeschaltet wird, hier noch ein vielleicht
    nützlicher Hinweis unserer Türkisch-Lehrerin: Sie empfiehlt Euch dringend,
    sich – wenn nicht schon geschehen – mit dem Pfarrer von St. Petrus
    in Antakya in Verbindung zu setzen. Viele Menschen aus Antakya haben
    in Syrien jenseits der Grenze Verwandte, dort funktioniert das „Arkatas“
    trotz der Lage. Der Pfarrer dürfte die entsprechenden Kontakte haben!
    Ich wünsche Euch allen himmlische und irdische Cherubim und Serafinen!
    Liebe Grüße
    Pia

  3. Liebe Christian, Franz, Esther und Hildegard,
    Hier noch ein Gruss von Rainer Maria Rilke, aus dem Herz:
    „Es treibt der Wind im Winterwalde
    Die Flockenherde wie ein Hirt,
    Und manche Tanne ahnt, wie balde
    Sie fromm und lichterheilig wird,
    Und lauscht hinaus. Den weissen Wegen
    Streckt sie die Zweige hin – bereit,
    Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
    Der einen Nacht der Herrlichkeit.“
    Im Gebet mit Euch verbunden in Zärtlichkeit
    Sr. Antonia

  4. Liebe vier Pilger,
    Am Schluss der Eucharistiefeier segnete uns der Priester und auch Euch, wie folgt.:
    „Que l’Esprit – Saint, nous fasse persévérer dans la justice et la paix,
    Nous qui avons reçu la force d’en -haut.“
    Mit diesem Segen erwarte ich Euch nach Syrien
    Sr. Antonia

  5. Monique sagt:

    Lieber Christian
    Das ist ja fast ein Zustand wie im messianischen Reich (Jes. 11,7) nur dass es sich bei Euch um eine Kuh und vier Pilger/innen und Rucksäcke und Mist handelt und nicht um eine Kuh und eine Bärin!!!
    Spass beiseite. Es war schön, Christian, heute im Blickpunkt Religion Deine Stimme zu hören. Ich freue mich sehr, dass es allen gut geht in der Gruppe, und dass Ihr mit der innern Überzeugung nun über Syrien geht.
    Der „Gott-mit-uns“ begleitet Euch! In der Meditation und im Gebet begleite ich Euch auch!
    Mit herzlichen Grüssen an Euch Christian, Esther, Hildegard und Franz, die Ihr „Grenzüberschritte“ wagt!
    Monique