111. Tag: Dreizehnter Tag in Istanbul

Heute gibt es keine Strecke.

Am Nachmittag besuchten wir die Hagia Sophia, auf Türkisch Ayasofya, für mich bisher der eindrücklichste Kirchenkomplex der patristischen Zeit. Viele Bilder und Beschreibungen habe ich davon gesehen, aber in dieses imposante Kirchgebäude einzutreten ist überwältigend, ja beinahe umwerfend, so hell, so lichtdurchflutet, so grandios, so ausgewogen und gleichzeitig in die Höhe und vorwärts strebend ist dieser ehemalige Sakralraum. Es blieb mir eine Weile nur der Mund offen.

Hl. Irenen-Kirche

Kirche der "hl. Irene"

Anschliessend gingen wir in den Topkapı-Sarayı bzw. -Palast, in dessen erstem Hof die Irenen-Kirche steht, die Kirche des „Heiligen Friedens“. Ein Vorgängerbau dieser Kirche war die erste Kirche in Byzanz, die Kaiser Konstantin errichten liess. In ihr wurde auch das erste Konzil von Konstantinopel im Frühsommer 381 abgehalten, auf dem das „Grosse“ oder sogenannte „Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis“ formuliert und beschlossen worden ist. Ein denkwürdiger Ort, denn dieses Bekenntnis ist bis heute dem weitaus grössten Teil der Christen gemeinsam und verbindet sie miteinander.

Doch wie die Hagia Sophia, so ist auch diese Kirche heute Museum. Nach der Eroberung durch die Türken wurde sie zunächst Waffenlager, dann Museum. Heute dient sie in dieser Form als begehrter Konzertsaal.

Ich stelle mir die Frage: Ist es der kleinste gemeinsame Nenner im Umgang zwischen Religionen, Sakralräume in Museen zu verwandeln, damit man sagen kann: Niemand ist bevorzugt, niemand benachteiligt, sie gehört weder den Einen noch den Anderen? Sie darf von keiner Seite benutzt werden. Sieht das jemand als das kleinere Übel oder als das maximal Mögliche? Ist das neutral? Ist das Dialog? Ist das Ausdruck des gegenseitigen Respekts?

Meinem Verständnis von Dialog entspricht das nicht: Im Dialog muss jeder der Partner vollwertig genommen und akzeptiert werden. Und es gibt keinen Dialog, wo es keine Standpunkte gibt. So muss jeder der Gesprächspartner eine Meinung oder Überzeugung haben und ausdrücken, sonst gibt es kein ehrliches Gespräch.

Der Status „Museum“, so denke ich, respektiert die Überzeugung des anderen nicht wirklich, es ist höchstens ein äusserst fauler Kompromiss.

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8 Kommentare zu 111. Tag: Dreizehnter Tag in Istanbul

  1. maria maier-gsellmann sagt:

    Lieber Franz,
    Liebe Mitwanderer,
    ich möchte euch alle gruessen und mich mal melden. ich denke des oefteren (ehrfurchtsvoll) an euch. Passt weiter gut auf euch auf und
    buen camino!
    alles liebe
    maria*

  2. Pia Kutschera sagt:

    Lieber Franz,

    für Dein Statement und Deine anderen Texte aus Istanbul Dank, denn sie
    regen nicht nur inhaltlich an, sondern konturieren Dich auch noch stärker
    als Person.
    Dein heutiges Statement hat mich so beschäftigt, dass ich mich heute
    nochmals melde. Und da du klare Positionierungen magst, möchte ich
    schreiben, dass ich täglich interreligiösen Dialog pflege und zum Teil ganz
    andere Positionen vertrete. Das soll aber nicht der Auftakt für längere
    Diskussionen werden, denn ich habe den Eindruck, dass solche vielleicht
    im Blog nicht so erwünscht sind. Daher möchte ich einfach anregen,
    vielleicht nach Eurer Rückkehr ein Forum zu eröffnen, was die LeserInnen
    oder sonstige Interessierte persönlich zum interreligiösen Dialog denken.
    Ein sicher für die Positionierung des Lassalle-Hauses spannendes Thema, für Dich/Euch vielleicht dann Teil einer Nach-Verkostung. –
    Dich persönlich möchte ich noch fragen, wie Du auf dem Hintergrund
    Deiner Position Deine Haltung als Friedensgeher in den muslimischen
    Ländern inhaltlich genau füllen möchtest; dabei beziehe ich mich auf Deine
    Absichtserklärung aus dem „Kärntner Film“, aber auch auf Deinen Wider-
    stand gegen faule Kompromisse.
    Viele fruchtbare Eindrücke und gutes Gelingen!
    Pia

  3. Hansruedi Rutz sagt:

    Lieber Franz

    Als Bekannter/Freund von Hildegard und erfahrenem Jakobspilger verfolge ich eure Pilgerreise intensiv und schätze nicht nur deine Wegbeschreibungen, sondern auch die (wenigen) sehr anregenden Gedanken auf dem Weg.

    Höre ich da im Unterton richtig heraus, das du dir gewünscht hättest, die beiden Kirchen wären als geweihte christliche Kirchen erhalten worden und dem christlichen Gottesdienst (ausschliesslich?) offen? Wenn ich an die Mehrheit für das Minarettverbot in unserem laizistischen Land mit überdurchschnittlicher Toleranzkultur denke, dann scheint mir dieser Wusch etwa sehr vermessen. Dialog stellt nicht zuerst Forderungen an die andere Seite, sondern hört aufmerksam des anderen Anliegen an und versucht darauf gemessen zu antworten. Wenn die Kirchen in einem Land, in dem sich der kämpferische, intolerante Islam wieder sehr stark gesellschaftlich und auch politisch zum Wort meldet, als grossartige Räume – zwar als Museum deklariert – mit ihren räumlichen und spirituell „aufgekladenen“ Qualitäten bestehen dürfen, finde ich das schon viel.

    Herzliche Grüsse an alle

    Hansruedi Rutz

  4. Susanne Hirsch sagt:

    Die Frage nach dem Status religiöser Gebäude stellt sich nicht nur im interreligiösen Dialog, sondern innerhalb unserer Kirchgemeinden und Bistümer in der Schweiz. Wir haben hier in der Schweiz zu viele Klöster und Kirchen, die nicht mehr für den ursprünglichen Zweck gebraucht werden. Was machen wir mit den Klöstern, die von den Gemeinschaften verlassen werden; wem übergeben wir die Kirchen, die wir nicht mehr brauchen? Dieses Thema beschäftigt uns bereits jetzt und wird uns in den kommenden Jahren weiter beschäftigen. Zu Museen werden nur die wenigsten gemacht werden können. Wird es uns gelingen, über diese sehr materiellen oder handfesten Fragen unsere Identität zu stärken, unseren Standpunkt zu finden, dialogbereit zu werden, im Glauben zu wachsen?

  5. Beat Näf sagt:

    Ein Punkt war mein letzter Kommentar, weil ich sagen wollte, es sei nicht möglich, angemessen zu formulieren und den Kommentar offen lassen wollte, es ging um das Wort des Angelus Silesius „Mensch werde wesentlich“, aber ich musste einen Punkt setzen, der Blog nahm kein Leerzeichen an, es gab kein Zeichen für das nichts, das noch vollkommener wäre als ein Punkt, der immerhin ist, was er ist, nämlich: Punkt, aber als Punkt vielleicht eben doch noch nicht Wesentlichkeit schlechthin. Wenige Stunden später blinkte es: Dieser Beitrag bedürfe der Redaktion. Der Punkt wurde gelöscht. Jetzt war nichts mehr. Freilich meine Zweifel gingen nicht weg. War das nun das Wesentliche?

    Und heute versuche ich es wieder einmal. Für mich ist etwas Wesentliches des Unternehmens die Begegnung mit Religion und Religionen. Doch wo ist Religion? Erfahren wird sie erst durch das Beobachten und die Erfahrungen. Doch worauf sollen sich die Beobachtungen richten? Und mit welchen Worten können Beobachtungen mitgeteilt werden. Mit einem Punkt, der für eine Leere steht? Kaum! Auch nicht, wenn der Punkt gelöscht ist!

    Die leere Kirche, die einem Museum gleicht, bietet noch immer eine Raumerfahrung. „In unaussprechlicher Schönheit,“ so schreibt Prokop im 6. Jahrhundert, biete sich die Hagia Sophia dar: „Denn Glanz und Harmonie schmücken sie, kein Zuviel und kein Zuwenig ist an ihr festzustellen …“ Die Kirche gehöre zur Stadt, ein Werk, das zum Staunen erwecke, als Bauwerk fast zu himmlischer Höhe emporführe, ein Zeichen der Gnade Gottes für den Kaiser sei und ein Ort, wo zu Ehren Gottes heilige Handlungen vollzogen würden.

    Zu Religion gehören Ort, Raum, Worte, Kult und Gemeinschaft von Menschen, welche religiöse Gemeinschaft mit der weltlichen Gemeinschaft in vielfältiger Weise verknüpfen.

    So gesehen ist das Museum ein religiöser Raum wie eine Kirche. Im Museum erfahren wir gleichfalls eine Umsetzung von Religiosität.

    Die Unterschiede sind Unterschiede in der religiösen Gemeinschaft.

    Ob sie sich überbrücken lassen? Vielleicht ist es eine Frage der möglichen Weite und Grösse einer Gemeinschaft. Wie gross menschliche Gemeinschaften sein können? Wie viel Disziplin brauchen sie? Wie viele Gemeinsamkeiten in Sprache, Kult, Tradition und Glauben? Wie gross sind die Möglichkeiten der Wahrnehmung in einer Gemeinschaft?

    Ich schreibe heute am 15. Oktober, wo über die Begegnung mit Rumi und seiner Mystik der Liebe zu lesen ist. Das ist an einem anderen Ort im Blog, ein anderes Thema, über das wiederum andere Menschen sprechen. Und in diesem Gespräch geht es nicht nur um ein Gespräch zwischen zwei Vertretern, denn weder wird Rumi von allen gleich verstanden, noch wäre das Christentum einfach eines. Vielmehr haben wir es jeweils mit einer Vielfalt zu tun. Hinein spielt auch das Erleben von Religiosität, wie wir es im modernen Alltag erfahren, eine Religiosität in Formen, die es genau so noch nie gegeben hat.

    Auf einmal sehen wir nicht nur Kirchen, nicht mehr gebrauchte Kirchen, sondern auch Räume, von denen wir vielleicht nicht sofort geglaubt hätten, dass es religiöse Räume sind. Zu ihm zählen auch ein Blog, ein Medium der Selbstvergewisserung, des Sicherheitsuchens, ein Medium, in dem wir auf Höheres hoffen, Anerkennung vielleicht, Trost, Hoffnung, Ewigkeit, Liebe, Bewältigung. Er gehört einer Gemeinschaft, die bestimmte Regeln – kultisch – befolgt, Glauben teilt, Glauben pflegt. Eine Begegnung pilgernder Christen mit Religion in Ort, Zeit und Raum.

    • Franz Mali sagt:

      Lieber Beat,
      Religionen äussern sich, bringen eine Meinung, vielleicht eine Überzeugung zum Ausdruck, konstitutiv ist m.W. auch das Gemeinschaftselement.
      „Religion“ ist heute wohl eine Beschreibung für eine bestimmte Sorte von Phänomenen.
      Die Kernfrage, die sich mir dabei als christlichem PIlger stellt, ist: Wer ist Gott? Wer ist Gott für mich? Was bedeutet er mir auf diesem Weg? Wie trete ich in Beziehung zu ihm? Und wohl zuerst noch: Wie – wenn ich gläubig bin – tritt Gott in Kontakt mit mir? Welche Erlebnisse ordne ich da in verschiedene Schubladen ein? Ist die Einsortierung einfach, ist sie entsprechend, frage ich mich manchmal???
      Soviel für jetzt – ich muss ins Bett nach knapp 34 km in den Beinen und halb 12 am Abend.
      Herzlich
      Franz

  6. Beat Näf sagt:

    Heute suche ich die gleichen Orte nochmals auf. Es dünkt mich, der Computer, der hier an diesem Ort steht, bilde einen Raum ab, in dem ich mich bewegen kann, andere Orte besuchen kann, Menschen treffe, Gespräche führe, so auch darüber, was in einer zum Waffenlager, Museum und Konzertsaal gewordenen Kirche geschehe.

    Das Erlebnis des Raumes löst dabei Emotionen aus, und diese Emotionen verbinden wir unter anderem mit Gefühlen, die wir als „religiös“ bezeichnen.

    Wahrscheinlich machen wir diese Erfahrungen in allen Räumen. Ich denke an die Eindrücke in der Weite der Welt und in der Natur. Ich denke auch an die Erfahrungen in einem Raum, der durch Worte geschaffen wird. Worte schaffen Räume, und wenn wir sie betreten, berühren uns Gefühle.

    Und wäre es möglich, mit Worten vollkommene Gefühle zu schaffen? Ein wenig wohl, wenn die Worte vollkommen sind. Doch da gibt es so viele Hindernisse.

    Ich sehe, was ich sagen möchte, ich suche nach Worten, und dieser Prozess des Übersetzens und Formens der gefundenen Worte gelingt unterschiedlich. Wenn dich einen Text lese, so spüre ich die Diskrepanzen zwischen dem, was ich sagen wollte und dem, was der Text auslöst. In einer solchen Situation hatte ich mich nach dem Nichts gesehnt, dann den Punkt gewählt.

    Sie könnten, so dünkte es mich, die Erfahrung des Raumes, von der ich berichten wollte, weitergeben.

    Und doch wäre dies ein Ende eines Gespräches über Raumerfahrungen. Und doch wäre das so unwichtig, weil tausende von Räumen, Erfahrungen und Gesprächen genauso da wären und niemand gerade meine Erfahrung bräuchte.

    Kommt es also nicht darauf an, was für „Kirchen“ wir haben, wofür sie gebraucht werden? Ich erinnere mich an die Rede des Stephanus – es braucht den Tempel nicht – die Zuhörer waren so empört, dass sie ihn steinigten, Saulus war an diesem Mord beteiligt. Und doch sind die Kirchen so schön, so faszinierend, Fenster in Vergangenheit und Gegenwart, Orte, über die wir sprechen, die wir immer wieder aufsuchen, die Gemeinschaft stiften, Kultur sind.

    • Franz Mali sagt:

      Lieber Beat,
      der „Besuch“ im Park vor der Irene-Kirche („Friedens“-Kirche) stimuliert zum Nachdenken: Kirche, Waffenlager, Museum und Konzertsaal, als was sie heute noch gelegentlich benutzt wird – und die einzigen Gelegenheiten, wo man hineinkann…
      Den Raum versuchte ich mir aufgrund der Aussenhülle ein wenig vorzustellen – hinein konnten wir allesamt nicht. Dafür war der Raumeindruck der Hagia Sophia umso überwältigender für mich. Mir kommt dazu in den Sinn, was nach dem Johannes-Evangelium zur Samaritanerin gesagt hat: „Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. 23 Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; (Joh 4,21-23)
      Gerade vor ehemaligen Kirchen – wie eben der Hagia Sophia oder der Irenen-Kirche – kommt mir dieser Satz in den Sinn. Zugleich beten wir jeden Tag während der Wallfahrt einfach auf der Strasse, auf dem Feld, im Wald, unter freiem Himmel – wollten wir – insbesonders hier in der Türkei – auf eine Kirche warten, wir müssten recht lange warten oder erst einmal archäologische Forschungen anstellen. Die Raumerfahrung hier in dieser anatolischen – „Sonnenaufgangs-“ Hochebene ist gewaltig: Erst gestern und heute kommen Berge näher. Die Ebene war einfach topfeben, kein Hügel, maximal ein Strassengraben – und über uns der Himmel, einmal dicht grau bewölkt, dann wieder heiter oder sehr sonnig.
      Es ist auch ein Raum, ein gewaltiger, unermesslicher…
      Herzlich
      Franz