Gruss aus Jerusalem

Seit drei Tagen bin ich in Jerusalem, mitten in der Altstadt, im muslimischen Quartier. Jeden morgen um 4.00 Uhr hör ich den Muezin, dreh mich im Halbschlaf. Das Laubhüttenfest prägt die Stimmung.Juden gestalten ihre Festtage ganz unterschiedlich. Eine Vielfalt jüdischer Traditionen kommt zum Ausdruck. Auf der Via dolorosa drängen sich christliche Pilger und sprechen verschiedenste Sprachen. Dann Touristen, die nicht einer bestimmten religiösen Tradition zuzuordnen sind. Ich habe den Eindruck, dass die Einwohner hier vieles über sich ergehen lassen müssen. Ob sie über all die Pilger und Touristen froh sind? Machen sie nicht die Altstadt zu einem Museum und zu einem grossen Souvenirbazar? Doch wer in Jerusalem wohnt, wohnt nicht privat für sich. Hier ist wohnen ein politisches und religiöses Statement. Werden uns die Bewohner in einem Jahr anders wahrnehmen, wenn wir zu Fuss nach sieben Monaten ankommen? Anders als jetzt, wo ich in einem guten halben Tag den Weg hinter mich gebracht habe?

Für diese Studien- und Pilgerreise bin ich mit der Gruppe von Zürich nach Tel Aviv geflogen, in weniger als vier Stunden. Immer dachte ich daran, wie es sein wird, wenn wir im kommenden Jahr die Strecke zu Fuss zurücklegen. Vier Stunden oder sieben Monate für die gleiche Strecke! Nein, 2800 km Fluglinie und 4700 km Landweg zu Fuss. Irgendwie ist es ungerecht, denke ich. Wenigstens könnte für die Pilger die Strecke kürzer sein, wenn wie schon nicht so rasch wie ein Flugzeug voran kommen. 750 km/h, 800 km/h, 850 km/h… noch nie habe ich so oft auf den Bildschirm mit den Fluginformationen geschaut. Im nächsten Jahr 25 km/Tag, 30 km, wenn es hoch kommt, geht mir durch den Kopf. Ja, irgendwie ist das Leben ungerecht. Der Flug lässt in mir den Respekt vor dem eigenen Mut wachsen. Verhalten ist die innere Freude.

Gestern in Yad vaSchem, der Schoa-Gedenkstätte in Jerusalem, mit ausgezeichneter Führung durch Tamar Avraham. Ich kenne die Geschichte der Nationalsozialisten, ihr Wahn zur Ausrottung der Juden – es trifft mich wieder neu. Unglaublich, wie das Böse die Fratze zeigen kann, wie Menschen sich entmenschlichen können! Ja, Jerusalem ist das einzige Ziel, für das ich sieben Monate Pilgern unter die Füsse nehme. Für keinen andern Ort! Kein Ort wie Jerusalem repräsentiert Gott, der den Opfern der Geschichte nahe ist.

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