Wie Erlebtes zur Erfahrung wird

In den letzten drei, vier Wochen habe ich verschiedentlich von unserem Pilgern Freunden, Bekannten, Kollegen und Mitarbeitenden erzählt. Durch das interessierte Zuhören und durch das Nachfragen sind mir immer wieder neue Aspekte klar geworden. Auch habe ich eine Sprache gefunden, die mein Pilgeranliegen und meine Erfahrung nochmals auf dem Punkt und in eine klare Form bringt. Darüber freue ich mich sehr. Im Resonanzraum des gemeinsamen Gesprächs kann sich Erfahrenes bei mir nochmals tiefer setzen. Nur wenn Andere sich für mich und meine Geschichte interessieren, erinnere ich mich wirklich. Dass Erfahrung nicht nur etwas erleben bedeutet, sondern Zeit braucht, damit sie mir wird, erlebe ich gerade tagtäglich. Daher darf das Erlebte auch nicht einfach zugedeckt werden mit neuen Aktivitäten. Ich nehme mir daher bewusst Zeit, das Pilgern nochmals mit Andern zusammen wiederzukäuen, zu verkosten und zu verdauen. Dabei verändern sich der Blick und das Gefühl für das Erlebte, bis sich die Erfahrung in einer ganz bestimmt Weise festsetzt und zum Schatz der eigenen Lebensgeschichte wird.

 

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14 Kommentare zu Wie Erlebtes zur Erfahrung wird

  1. Pia sagt:

    Lieber Christian,
    durch deinen Beitrag ist mir klar geworden, welch ein vielfältiger Prozess
    das Er-leben wichtiger Erfahrungen auch im täglichen Pilgeralltag ist.
    Zuerst kommt die noch größere Schöpfungsvielfalt durch das Nachfragen
    der anderen.
    Dann folgt die innere Rückfrage an das Erlebte; das kann
    freudig vertiefend oder erweiternd, aber auch ein Be- oder Entfremdungsprozess sein, eine starke Anfrage an mich.
    Als nächstes brauche ich die Kraft der Entscheidung, um es „mir zu eigen“ zu machen oder weiter zu geben oder loszulassen.
    Zuletzt habe ich einen Extrakt („das Gute behaltet“), den ich auf dem weiteren Pilgerweg meines Lebens „aufkochen“, befragen, verwerten, auf
    jeden Fall aber mitnehmen kann, weil er kon-zentriert ist und leicht zu
    tragen.

    Im Prozess verbunden als „digitale“ Pilgerin,
    mit guten Wünschen für das Nachkosten
    Pia

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Pia
      In der geistlichen Sprache war das „Verkosten“ der klassische Ausdruck für diesen Verdauungsprozess. Geistlich sind die Menschen Wiederkäuer.
      Mit herzlichem Gruss
      Christian

  2. Pia sagt:

    PS: Gerade ist mir aufgefallen, dass auch dieser Prozess unter den metamorphotischen Dreisatz Inkarnation-Askese-Erlösung fällt, wie
    ein geistliches Ein- und Ausatmen.

    • nobody sagt:

      Schuberts“Winterreise“; mit dem Gedicht von Müller Wilhelm:
      Erstarrung

      Ich such‘ im Schnee vergebens
      Nach ihrer Tritte Spur,
      Wo sie an meinem Arme
      Durchstrich die grüne Flur.

      Ich will den Boden küssen,
      Durchdringen Eis und Schnee
      Mit meinen heißen Tränen,
      Bis ich die Erde seh‘.

      Wo find‘ ich eine Blüte,
      Wo find‘ ich grünes Gras ?
      Die Blumen sind erstorben,
      Der Rasen sieht so blaß.

      Soll denn kein Angedenken
      Ich nehmen mit von hier ?
      Wenn meine Schmerzen schweigen,
      Wer sagt mir dann von ihr ?

      Mein Herz ist wie erstorben,
      Kalt starrt ihr Bild darin;
      Schmilzt je das Herz mir wieder,
      Fließt auch ihr Bild dahin !

      • nobody sagt:

        grad noch was…:
        Täuschung
        Ein Licht tanzt freundlich vor mir her;
        Ich folg ihm nach die Kreuz und Quer;
        Ich folg ihm gern, und seh’s ihm an,
        Daß es verlockt den Wandersmann.
        Ach, wer wie ich so elend ist,
        Gibt gern sich hin der bunten List,
        Die hinter Eis und Nacht und Graus
        Ihm weist ein helles, warmes Haus,
        Und eine liebe Seele drin –
        Nur Täuschung ist für mich Gewinn!

        Wilhelm Müller
        Aus der Sammlung Die Winterreise

      • Christian Rutishauser sagt:

        Wie wahr und wunderbar diese poetischen Zeilen. Ich kann sie nur nochmals und nochmals lesen. Herzlichen Dank! Christian

  3. Marie-Therese sagt:

    Lieber Christian,
    Mir gehts mit für mich bedeutsamen Erlebnissen, genauso, egal ob es etwas besonderes, aussergewöhnliches oder etwas äusserlich unscheinbares ist. Ich hab dann das Bedürfnis, es mit Mitmenschen zu teilen, mich darüber auszutauschen, ihr Mitgefühl und ihr Interesse dafür zu spüren, damit ich die für mich wichtige Bedeutung mit allen Aspekten erspüren kann.
    Mit den besten Wünschen grüsst Dich herzlichst aus dem fernen Fribourg,
    Marie-Therese

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Marie-Therese
      Ja, dieses Verdauen und Verkosten ist ein andauernder Prozess, der oft unbemerkt abläuft, wenn wir uns genügend Zeit lassen. Besondere Erlebnisse machen diesen Vorgang bewusst. Wenn wir uns Überreizen und zu hektisch leben, dann wird der Reifeprozess verunmöglicht. Gott bewahre!
      Mit liebem Gruss
      Christian

  4. Monique sagt:

    Lieber Christian
    Eine so bedeutsame Erfahrung wie Euer Pilgern ist für immer im Innern verankert (er-Innern). Doch wird die ganze Be-Deutung klarer, wenn sie mitgeteilt werden kann.
    Ich freue mich, dass Du Dir Zeit nimmst, diese Erfahrung mit Anderen zu teilen und freue mich, nächstens einmal daran teilnehmen zu können.
    Mit einem herzlichen Gruss
    Monique

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Monique
      Ja, es wäre schade, eine Chance vertan, wenn das Nachklingen nicht möglich wäre.
      In Verbundenheit, Christian

  5. Mona Bienek sagt:

    Lieber Christian
    Zum Nachspüren des Pilgerns vielleicht auch einmal im Labyrinth des
    Lassalle-Hauses, über den zugeschneiten “Pilgerwegen”, eine neue Spur legen und wie ich von einem neuen Jerusalem mit einem interreligiösen Labyrinth träumen.
    Dabei wünsche ich Dir und denen, die Dich nachahmen möchten, gute Führung, wertvolle Eingebungen, neue Erfahrungen und viel Freude und Spass!
    In Verbundenheit, zu Maria Lichtmess, aus dem Zürcher Labyrinth im Kasernenareal. Freue mich auf Deine und Hildegards Pilgererzählungen am Donnerstag im Aki-Haus in Zürich! Mona Bienek

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Mona
      Ja genau, das Labyrinth ist ein guter Ort, um nachklingen zu lassen, Schlaufe um Schlaufe. Unser Lassalle-Haus Labyrinth ist gerade unter dem Schnee, doch die Wege im Park laden auch zum gehen ein.
      Mit liebem Gruss und bis zum Donnerstag,
      Christian