Ambivalenz

Heute sind wir in Amman angekommen. Ich kann es noch kaum glauben, dass wir den Weg aus der Schweiz bis hierher zu Fuss gegangen sind. Bewegt hat mich heute jedoch vor allem der erst Blick hinüber nach Israel/Palästina, ins verheissene Land: Wir hatten am Morgen einen steilen Aufstieg auf eine Hügelkette nördlich von Amman, vonwo aus wir zurück zum tief eingeschnittenen Jabboktal schauen konnten. Das Tal läuft nach Westen und der Jabbok fällt in den Jordan hinab. Da am Horizont und im Dunst waren die Konturen der Berge Samariens zu sehen, jenseits des Grabenbruchs. Mein Herz schlug sofort rascher, denn dieses Land gehört biblisch gesprochen so sehr zu Jerusalem wie Jerusalem ohne das Land nicht denkbar ist. Eigentlich deckt der politische und kulturelle Konflikt um das Land und die Stadt zu, worum es vom Glauben her gehen sollte, schiesst es mir durch den Kopf und macht mich traurig. Doch dann tröstet mich ein anderer Gedanke, dass es im Glauben um die ganz konkrete Geschichte von uns Menschen geht, so brüchig und verworren, so entstellt und verraten sie zuweilen auch sein mag. Ja, es stellt sich in mir das schon bekannte Empfinden der Ambivalenz ein: einerseits die Tragik des modernen Nahostkonflikts und andrerseits die freudige Gewissheit, dass sich hier Geschichte des Heils abgespielt hat und abspielt. Heute war mir nur ein flüchtiger und erster Blick über den Jordangraben gegönnt. Noch ist Zeit des Wartens angesagt, bis wir den Jordan überschreiten. Und doch ist schon alles wahrnehmbar – Ambivalenz.

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2 Kommentare zu Ambivalenz

  1. Susanne Hirsch sagt:

    Liebe Pilger
    Es ist gut, dass Ihr Euch auf den Weg durch Syrien eingelassen habt und zu Fuss hineingegangen seid. Und es ist gut, dass Ihr beweglich geblieben seid und das Land mit dem Auto verlassen habt. Nach den sichtbaren Herausforderungen der vergangenen Wochen wünsche ich Euch, dass Ihr nun die unsichtbaren Herasuforderungen des Wartens in Amman besteht.
    Mit einem herzlichen Gruss, Susanne

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Susanne
      Danke, mit dem ersten Advent stimmen wir uns eben in diese Zeit des Wartens ein. Es ist sehr gut so.
      Mit einem lieben Gruss
      Christian