Die Pistole vor Augen

Täglich gehe ich ein bis zwei Stunden ganz für mich alleine, um vertieft in der Meditation und im Gebet zu sein. Wenn es möglich ist, sind es die ersten Stunden am Morgen. So bin ich auch heute alleine vor Franz, Hildegard und Esther gegangen. Auf der linken Seite des Strässchens näherte ich mich einem hupenden Lieferwagen, der am Eingang zu einem Hof stand und wartete, bis jemand erschien. Als ich auf die Höhe des Wagens kam, stieg der Fahrer – ein jüngerer Mann mit Schnauz und stechenden Augen, in Militärhose und Militärkittel gekleidet – aus und stellte sich breitbeinig mir in den Weg. Zugleich zog er aus seiner Hosentasche einen Revolver, hob ihn an, auf mich ziehlend, und lies die Hand wieder sinken, so dass die Waffe an seinem gestreckten Arm nach unten ruhte und für mich sichtbar blieb. Ein Gefühlsschub von Angst durchwallte mich, liess mich für einen Augenblick erstarren und dann stand ich mit dem Mann, der etwas grösser war als ich, Auge in Auge da. Er sprach verhalten etwas Arabisch aus, das ich nicht verstehen konnte. Da ich nicht gleich reagierte, wiederholte er mehrmals etwas und machte zuerst nur mit seinem Kopf, dann auch mit seinem linken Arm, eine leichte Bewegung nach oben. Er blickte dabei auf meinen Rucksack, und ich verstand, dass ich ihn öffnen soll. Ich blieb stehen und wiederholte, dass ich Arabisch nicht verstünde. Zugleich schoss es mir durch den Kopf, dass die andern drei sich schon nähern müssten. Ich musste also Zeit gewinnen, bis sie da sind. Mich umzudrehen schien mir nicht weise, da ich den Angressor nicht aus den Augen lassen wollte. Zugleich konnte ich in seinem Blick sehen, dass er immer wieder über mich weg schaut, wie sich meine drei Mitpilger nähern. Die Zeit schien mir still zu stehen. Ich begann meinem Bedroher die Sprachen aufzuzählen, die ich verstehe, wenn er vor mir etwas wolle. Dies diente jedoch nur der Zeitgewinnung; innerlich blieb ich aufs Äusserste angespannt, wartend. Auf einmal zeigte er mit seiner Pistole zur Seite hin und gab mir durch eine Bewegung zu verstehen, ich sollte hinter das Auto stehen, zu den Bäumen hin. Ich wusste, dass ich mich auf keinen Fall ins Verdeckte begeben werde und reagierte auch bei wiederholter Aufforderung durch seine Bewegung nicht. Ich hoffte, die andern würden kommen und harrte aus. Es waren wohl erst zwei oder drei Minuten. Da nahm ich wahr, dass er die Pistole, die immer noch an seinem ausgestreckten Arm sichtbar war, in seine Hosentasche steckte. Es war das Zeichen, dass die andern drei kamen. Tatsächlich standen sie auch gleich auf meiner Höhe. Ich sagte ihnen in ruhigem Ton, dass der Fahrer eine Waffe hat, denn sie hatten sie von weitem nicht bemerkt. Auf Deutsch konnte mich mein Bedroher nicht verstehen. Einen Augenblick standen wir vier dem Mann wortlos gegenüber. Gleich drängte ich jedoch, weiterzugehen. Er liess uns passieren. Ich schaute noch leicht um, konnte feststellen, wie er zum Wagen geht und eine Frau vom Hof her kommt. Wir vier gingen einen Moment schweigend, bis ich zu erzählen begann, was ich gerade erlebte.

Nach unserem kurzen Gespräch gehen wir eine Weile fast schweigend. Es ist angenehm, da auch noch nicht so viele Leute auf den Strassen stehen und uns anreden. Nach zwei Studen Weg, etwas nach 9.00 Uhr, machen wir bei einem kleinen Laden halt, essen etwas kleines und werden zu einem Glas Mate eingeladen. In der Zwischenzeit haben wir auch einen Agenten des Geheimdienstes wieder wahrgenommen, der gleich zur Zentrale telephonierte und, so abgesichert, uns in Ruhe lässt. Auch die Kinder, die uns während unserer Pause zu umringen begannen, schickte er nach Hause. Kaum waren wir von unserem Rast aufgebrochen – wir waren schon ausserhalb von Wohngebiet – kam ein Lieferwagen entgegen und hielt brüsk vor uns an. Es stieg der Fahrer von vorher wieder aus, begann gleich mit der Pistole zu fuchteln und bedrohte uns vier. Franz wurde vor allem konfrontiert, während ich vorbeifahrende Autos und Motorradfahrer anzuhalten versuchte. Da war Polizei und Geheimdienst jedoch gleich zur Seite. Ein Motorrad mit zwei jungen Männern hielt und auch ein Wagen mit einem Militärmann in Uniform am Steuer, sowie ein mit Maschinenpistole bewaffneter Beifahrer. Einige Wagen und Motorräder fuhren vorbei, andere hielten, sodass es einen kleinen Auflauf gab. Dem Mann in Uniform im Wagen, erzählte ich von der Bedrohung und er prüfte meinen Pass. Inzwischen erklärte sich einer der jungen Männer – er gehörte also zum Geheimdienst – bereit, zu unserem Schutz an unserer Seite zu gehen, um uns zu schützen. Der Mann mit der Pistole, der diese seit Erscheinen von den Sicherheitsleuten eingesteckt hatte, stieg in sein Auto. Esther war so ausser sich, dass sie nicht mehr gehen wollte. Auch Hildegard forderte sofort ein Taxi, um hier wegzufahren. Doch sowohl die beiden jungen Männer vom Geheimdienst wie auch der Mann in Uniform im Auto insistierten, dass wir nun mit Schutz von ihnen weitergehen sollten. Letzterer meinte: „Geht mit Gott!“
Wir begannen wieder zu gehen, den Geheimdienstangestellten, der etwas Englisch sprach, an unserer Seite. Nach wenigen Meter gab es nochmals einen Zwischenhalt, weil Esther mit Nachdruck bekundete, dass sie nicht mehr gehen wolle. Doch wir waren mitten im Feld und so stimmte sie schliesslich dem Weitergehen zu, sofern wir die Begleitung hätten. Wir gingen und bald stellte sich bei einem Gespräch mit unserem Schutzmann, der Mohammed hiess, heraus, dass er weiss, dass wir nach Jerusalem unterwegs sind und pilgern. Wir hatten ja nie davon gesprochen und unterliessen es auch weiterhin, weil ein Durchqueren Syriens nach Jerusalem und Israel hin offiziell nicht erlaubt ist. Bei einem Gespräch Mohammeds mit anderen Sicherheitsleuten nach wenigen Kilometern, hörten wir auch, wie sie über uns redeten und über unser Pilgerprojekt gut informiert sind. Gegenüber den Menschen in der Strasse, die fragten, woher wir kämen und was wir hier machten, erklärte Mohammed stets, wir wären Pilger aus der Schweiz, die eine Wallfahrt nach Maalula machten, das syrischen Christen wichtig ist. So hält der Geheimdienst gegenüber dem Volk die Doktrin also aufrecht, dass man nicht nach Israel darf und substituiert Jerusalem mit einem christlichen Wallfahrtsort im eigenen Land. Wir vier sagen nichts weiter, als dass wir zu Fuss aus der Schweiz kommen, durch Syrien gehen und schliesslich nach Amman wollen.

Bis kurz nach Mittag hatten wir den Alewiten Mohammed als persönlichen Schutz zu Fuss, mit dem ich verschiedene Gespräche führen konnte. Ich fragte ihn einiges für uns Nützliches über Syrien und die Verhältnisse im Land, wobei ich beim Zuhören mir stets bewusst war, dass ich mit einem Vertreter des Geheimdienstes im Gespräch war. Zugleich fuhr ein weiterer Beamter mit seinem Motorrad immer in unserer Sichtweite. Am Nachmittag wurde Mohammed wieder abgezogen bzw. er ging aus eigenen Stücken weg, denn ich vermute, dass sein Gehen mit uns sich spontan aus der Situation ergeben hat und nicht offiziell vorgesehen war. Wir hatten dann auf alle Fälle für den Rest des Tages nur noch die Begleitung von Ali mit dem Motorrad.

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