Dieser wunderbare Herbsttag führt uns durch kleine, abgelegene Bauerndörfer und damit auch in eine Gegend, die ärmlich und unterentwickelt ist. Mensch und Tier leben oft noch ganz nah beisammen, und in den Strassen liegt der Abfall und Mist. Hühner und Hunde, Katzen und Gänse bevölkern die Gassen. Nicht nur Stall und Wohnhaus gehen ineinander über, sondern auch Werkstatt und Laden. Von aussen ist zuweilen nicht ersichtlich, ob es da Tee gibt oder Handwerkszeug. Vor dem Haus und in den Höfen wird gearbeitet und gekocht, gewaschen und gegessen, das Obst und die Wäsche getrocknet. Fasziniernd ist die alte Bausubstanz der kleinen Häuser: Naturstein und Lehmziegel, Baumstämme und gebrannte Ziegel sind oft an einem Bau zu sehen. Die Dächer aus Holz, Stroh, Lehm und darüber Schieferstein muten abenteurlich an. Viele Häuser sind zerfallen, oder es werden nur noch Hausteile bewohnt. Was sauber und gepflegt ist, ist stets die Moschee. Die Moderne zeigt sich in nun schon alten landwirtschaftlichen Maschinen und den Satelitenschüsseln für das Fernsehen. Das Erfreuliche sind die Menschen: freundlich, neugierig ins Gespräch zu kommen, gastfreundlich. Wie gestern wurden wir wieder zu Tee eingeladen, mit Tomaten beschenkt und mit Bewunderung für unseren langen Fussweg überschüttet. Dass unsere Unterkunft heute abend dem Standart der Gegend entspricht, darf nun nicht verwundern: heruntergekommene Pension, ziemlich schmuddelig und dreckig, doch wenigstens mit warm Wasser. – Beim Gehen bin ich nachdenklich: Diese Unterschiede des Lebens im Vergleich mit Istanbul! Hier wird die andere Seite der Migration in die Megametropole sichtbar. Wie kann die Stadtflucht vermieden werden? Wie soll eine Regierung diese Gegenden fördern? Wie sehen die Menschen uns vier Pilger, kommend aus einer andern Welt?
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Meta
Lieber Christian,
Deine Schilderung der zurückgebliebenen Türkei erinnert mich an Dörfer, die ich in Kappadokien durchquert habe. Kuhfladen trockneten an den Hauswänden als Brennmaterial , eine Hühnerleiter führte vom Stall ins „Obergemach“, wo uns Tee angeboten wurde. Die Gastfreundschaft uns gegenüber beschämte mich. Wie sehr müssen die türkischen Immigranten sie bei uns vermissen! Wie schwer verständlich muss ihnen unser ganz anderer Umgang mit der Zeit sein.
Hoffentlich stößt Euch so fern der Zivilisation nichts zu. Geht wohl behütet!
Ganz herzlich
Irmela Magdalena
Liebe Irmela Magdalena
Auch die „Zivilisation“ dieser einfachen Welt weiss ich zu schätzen. Die Menschen und ihr Offenheit für den Andern, für Begegnungen, sind immer das Wertvollste. Wie auch Du empfindest, so fehlt diese Offenheit zuweilenin den „hochzivilisierten“ Ländern. Es ist Arbeit, ein dialogischer Mensch zu werden.
Herzlichst, Christian
Lieber Christian
Welche Gegensätze! Ich habe soeben im Zusatzmagazin „et cetera“ des BUND von heute Morgen geblättert, Thema: „Die Leute von Istanbul, den Bosporus entlang und bei den Kreativen vom Cihangir bis Nisantas1“. Jeunesse dorée und „arrivierte“ Geschäftsleute, das Ganze gut recherchiert und aufgemacht. Dann lese ich im BUND selber die kleine Notiz, dass das türkische Parlament das Hosentragverbot für Frauen aufgehoben hat…
Deine Beobachtungen, die sich übrigens mit meinen Erfahrungen in Rumänien decken, und meine Lektüre umspannen ca 100 Jahre Entwicklungsgeschichte. Unglaublich, aber auch spannend!
Ein gutes Weitergehen wünscht Dir/Euch von Herzen, Esther
Liebe Esther
Ja, die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung ist spannend zu beobachten. Sie erzeugt Konflikte, aber auch kreatives Potential. die Türkei und viele Länder sind davon betroffen. Ich hoffe, dass wir Christan auch da immer wieder Brückenbauer sein können.
Mit einem lieben Gruss
Christian