hinter Gittern

Gestern erlebte ich das erste Mal ein muslimisches Gebet. Wir sind per Zufall hineingeraten, weil wir die Moschee besichtigten. Immer mehr Männer kamen rein, an uns vorbei, grüssten, nickten, beachteten uns oder auch nicht. Einer der Männer schickte uns zu den Frauen auf die Empore, was wir taten, denn ich wollte das Gebet miterleben.
Eine steile Stiege führte uns in hinauf, aus dem Blickfeld der Männer – auf die Empore. Wir werden nicht gesehen, sehen selber aber auch nicht viel. Wie hinter Gittern, fern dem Geschehen, nehmen wir Platz. Eine junge Frau mit offenen schönen Augen, ganz in Schwarz – im Tschaddor, ist ins Gebet vertieft. Sie nickt uns freundlich zu und heisst uns damit bei den Frauen willkommen. Drei weitere sitzen schon oben und begutachten die Männer, tuscheln und machen einander mit dem Finger auf irgendwer oder irgendwas aufmerksam. Noch drei Frauen kämpfen sich keuchend hinauf. Ich strecke ihnen meine Hand entgegen, damit sie sich an mir aufziehen können. Dankbar nehmen sie sie entgegen, lächeln mir zu und ihr Schweiss, der sich in den langen Nylonmäntel hält, kommt mir scharf entgegen.
Das Gebet beginnt, interessant, ich versuche zu sehen, stelle mich ans Gitter, der Blick ist sehr eingeschränkt, leider. Immer wieder schaue ich zu den betenden Frauen, schaue ihren Ritualen, Gesten, Bewegungen zu. Viele Fragen tauchen auf. Was bewegt eine Frau sich so zu verhüllen? Wie erleben sich die Frauen im Islam? Was beten sie? Was verstehen sie? Hilft ihnen ihr Glaube? Kann ich es mit dem was mich bewegt vergleichen?
Das Gebet endet und die junge Frau kommt auf Hildi zu und spricht sie auf Englisch an. Ein kleiner Wortwechsel entsteht. Namen werden ausgetauscht. Sie heisst Gül, das bedeutet Rose, Hildegard heisst Schützerin im Kampf, das ist auf Englisch zu schwierig, da ist Esther, der Stern schon einfacher.
Wie alt wir seien, oh, wir säen jünger aus – lächeln – sie ist 22. Sie freut sich sichtlich mit uns ein bisschen zu plaudern und noch mehr darüber, als Hildi sagt, sie habe sich im Stillen gewünscht mit ihr ins Gespräch zu kommen. Leider musste sie sich bald verabschieden, denn ihr Mann stand unten und warte. Mit einer Wärme in den Augen sagt sie: Nice to meet you. Zieht den Taschddor über, den sie unter uns ablegen konnte, knüpft ihn streng unterm Kinn und bis zu den Handgelenken zu und zieht unsern Blick noch nach. Unten an der Treppe wartet der Mann, zusammen verlassen sie das Gebetshaus.
Gerne hätten wir mit ihr noch länger gesprochen.

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8 Kommentare zu hinter Gittern

  1. Christa Huber CJ sagt:

    Liebe Esther,
    ganz herzlichen Dank für das Erzählen aus der Moschee und die wunderschönen Bilder!! Das hat mich gerade sehr angerührt, Erinnerungen in mir geweckt an meine Begegnungen mit dem muslimischen Gebet in der Türkei… Leider lebe ich seit 3 Jahren in einer Gegend, in der es keine Muslime gibt, (ja es gibt ja auch kaum Christen hier in Thüringen). Das Eintauchen in Eure Welt hat mir grad sehr gut getan – Danke!

    An Euch alle:
    demnächst, vom 01.-03.10. möchte ich ein paar Tage pilgern gehen und mich so mit Euch verbinden. Nun wird es wohl fränkischer Jakobsweg, Vierzehnheiligen… Hab sehr an Franz Mali denken müssen, da ich zuerst hier im ganz ländlichen Raum gesucht habe und auf der Suche nach Wegen sehr ins Schwitzen kam 😉

    Herzlich verbunden,
    Christa

    • Christian Rutishauser sagt:

      Liebe Christa
      Ich hoffe, Du hast wieder einmal Gelegenheit, in den Muslimisch-christlichen Dialog einzusteigen. Doch Deine Arbeit im Bereich der Spiritualität im Osten Deutschlands ist natürlich auch sehr wichtig. Ich hoffe, das Pilgern gibt Dir Kraft dazu!
      Verbunden, Christian

  2. Pia Kutschera sagt:

    Liebe Esther,
    für Euch freue ich mich sehr, dass Ihr das muslimische Gebet einmal
    in Frauenperspektive erleben konntet und dabei menschlich erfreuliche
    Erfahrungen machen konntet.

    Vielleicht ergänzt das Folgende ein wenig Eure Erfahrung und lässt Euch schmunzeln trotz schmerzender Füße:
    Ich habe zwei muslimische Freundinnen, die eine trägt ständig ein Kopftuch, die andere nur zum Gebet in der Moschee. Beide sind sehr geistliche Frauen und erklärten mir, dass das Kopftuch für s i e hauptsächlich die Funktion erfüllt, die man bei uns von Nonnen kennt, die sich ganz ihrer Berufung widmen wollen. Es hilft ihnen zur kompletten Versenkung ins Gebet.
    Das Gitter hier in unserer Karmelgemeinde – es waren streng inklausurierte Karmelitinnen mit Habit dahinter – fand die Schiitin von beiden sehr sympathisch, es erinnerte sie an den geschützten Raum des Betens im Iran. Noch heute pflegt sie Nonnenkontakte, dort lernte ich
    sie auch kennen.
    Dieses Wissen hat sie dann spontan umgesetzt, als ihr ein junger Mann auf einem Fahrrad folgte. Sie sagte ihm: „Hören Sie mal, sehen Sie nicht, dass ich eine katholische Nonne bin?“ Er verschwand auf Nimmerwiedersehen.. (:-) Irgendwann hat sie dann einen deutschen Islam-Konvertiten geheiratet, während ihre Schwester zum Christentum konvertierte. Schau immer hinter das Äußere…
    Viel gute Begegnungen und „Tschador-Geheimnisse“ für Euch!
    Pia

    • Esther Rüthemann sagt:

      Liebe Pia,
      hab Dank für deine Geschichte. Um es mit Saint-Exupéry zu sagen: man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
      Än schöne Obig
      Esther

  3. Ute sagt:

    Liebe Esther!
    Wunderschön der Bericht und die Bilder! Euere Begegnungen – ob Moschee oder Postkartenkiosk oder ….. oder ……. sind so vielfältig und interessant. Ich war kürzlich mit der Romanshorner Kirchengemeinde zu einem Besuch in der Konstanzer Moschee (mit Minarett!!!) und war – allerdings auf verschiedene Arten – sehr beeindruckt. Wir konnten Fragen stellen und anschliessend am Freitagsgebet teilnehmen. (Frauen oben).
    Es ist so gut, immer verschiedene Perspektiven zu erleben. Und auch dazu tragt Ihr viel bei.
    Herzlichst
    Ute

    • Esther Rüthemann sagt:

      Liebe Ute,
      Ja, du hast Recht, vieles hier lässt mich fragen und staunen. Ich bin beeindruckt und doch froh, dass ich hier Pilgerin bin und nicht Einheimische.
      Herzlichst Esther

  4. Rita sagt:

    Liebe Esther
    beim Lesen deines Berichtes rutscht es mir – halb unbewusst, halb absichtsvoll – so heraus:
    (…) Einer der Männer schickte uns zu den Frauen auf die „Empöre“ (…)

    Wenn ich mich nicht täusche, hat vor längerer Zeit Manuela Liechti, Pfarrerin in Münchenbuchsee, diese Wörter in ihrer etymologischen Verwandtschaft dargelegt und daraus eine Radiopredigt gestaltet, die jesuanischer nicht sein könnte.
    Wenn diese „Empöre“ aus deinem mit Feinfühligkeit und liebevoller Zugewandtheit den Menschen gegenüber geschriebenen Bericht in mir nachklingt, dann stelle ich mir vor, dass sich die muslimischen Frauen eines Tages ihrer „Vollmacht“ bewusst werden und sie auf der Empore ihrer Empörung auf eine solche Weise Ausdruck geben werden, so dass ein neues Zeitalter des Zusammenlebens von Männern und Frauen auch im Islam anbrechen wird.
    Eure heutige Tagesetappe wird Euch wohl wieder viel Schönes bescheren! Ich freue mich schon riesig auf Eure heutigen Tagesgedanken im Blog zu Euren Erlebnissen und Eindrücken.

    In herzlicher Verbundenheit
    Rita

    • Esther Rüthemann sagt:

      Liebe Rita,
      danke dir für deine Anregungen, hab die Predig nicht gehört, ist aber bedenkenswert 🙂
      Der Tag heute war ein Traum aus Gold, Braun und Blau – einfach toll!
      Guet Nacht Esther