88. Tag: Ruhetag in Edirne

Heute gibt es keine Strecke.

Dafür eine Sensation aus dem Hotel, in dem wir Pause machen: Als wir uns gestern zum Nachtessen in die Stadt aufmachen, sagt uns der Portier: Vor fünf Minuten ist ein Mann aus Paris eingetroffen, der nach Jerusalem geht. Wir schauen uns gegenseitig an und fragen natürlich: Wie heisst er? Logiert er hier? Können wir mit ihm reden? Wann geht er weiter? Der Portier ist beinahe überfordert von unserem Schwall an Fragen, ruft ihn aber gerne im Zimmer an. Der Mann nimmt ab und ist anscheinend nicht minder überrascht. Er hat noch nicht ausgepackt, nicht geduscht, dennoch will er uns sofort sehen. Es ist Matthieu de Lamarzelle, der am 18. Mai in Paris gestartet ist, er geht allein und alles zu Fuss nach Jerusalem, er will sogar weiter bis nach Alexandrien. Begegnung mit dem Jerusalem-Pilger M. de LamarzelleDas sagt er uns bei einem Kaffee um die Ecke. Er quillt nur so über vom Erzählen. So lange ist er schon unterwegs, und noch nie hat er Pilger nach Jerusalem getroffen, Menschen, die auf dem gleichen Weg sind wie er! Er erzählt von seinem Allein-Sein, von seinen Anstrengungen auf den stark befahrenen Strassen, seinem elektronischen Gerät, auf dem er Google-maps installiert hat und mit dessen Hilfe er geht. Er hat ein Zelt dabei, in dem er bisher etwa 14mal übernachtet hat, was aber mühsam ist, weil man nie so gut ausgeruht ist, wie wenn man in einem Bett schläft. Er hat ebenso Freunde, die seinen Weg über Telefon und Internet begleiten. Die Seite ist: http://www.compostelle-cordoue.org/ovi/index.php?tg=articles&topics=49&smap_node_id=130

Ich bin beeindruckt: Für uns ist es auch das erste Mal, dass wir ausser Vittorio einen Jerusalem-Pilger treffen. Wir essen zusammen Znacht, er verabschiedet sich, will noch die Grosse Moschee anschauen. Während wir hier in Edirne einen freien Tag geniessen, ist er heute morgen weitergezogen in Richtung Istanbul.

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8 Kommentare zu 88. Tag: Ruhetag in Edirne

  1. Helen sagt:

    Ja das gibt’s doch nicht! Ein Jerusalempilger im gleichen Hotel?!?
    Unglaublich was ihr fuer Begegnungen und Erlebnisse sammelt!
    Danke fuer den Bericht, Franz!

    • Franz Mali sagt:

      Liebe Helen,
      ja, wir glaubten es zuerst auch nicht! In Edirne gibt es -zig Hotels! Und wir treffen uns in dem einen selben! Unglaublich! Er hat sich aber mindestens so gefreut wie wir! Er war völlig vor den Socken!
      Herzlich Franz

  2. LausA sagt:

    Das ist doch mal ein Bericht, dir lieber Franz, einen Vorläufer gefunden zu haben. Von Vorkostern habe ich schon gehört, aber dass es auch auf einem so einzigartigen Pilgerweg, wie ihr ihn begeht auch noch ein Treffen mit einem ziemlich genau gleich Gesinnten gäbe, das ist schon eine kleine Sensation. Ich wünsche auch ihm Glück, Gesundheit und Segen auf seinem Weg und wer weiss, trefft ihr euch nochmals um Erlebnisse auszutauschen.

    • Rita sagt:

      Ihr lieben Pilger

      wenn ich solche Geschichten höre, dann kommen mir die Tränen. Bei solchen Erlebnissen, die ich auch schon erleben durfte, fühle ich die Wahrheit des Satzes aus dem Lukasevangelium, dass das Reich Gottes mitten unter uns sei. Sensation im wahrsten Sinne des Wortes! Irdisch-menschliche Planung allein würde solches niemals zustande bringen.

      Gestern kam im Radio ein Gedicht von Fred Endrikat, das schön zu Eurer Pause und Eurem Weitergehen passt, finde ich:

      Stille Rückschau

      Plötzlich bleibst du stehn und schaust zurück
      auf den Weg, den du gegangen bist,
      siehst die Jahre rückwärts wie die Kilometersteine.
      Manche sind beinah verblasst im Dämmerschein,
      wie wenn Gras darüber hingewachsen ist,
      wieder andere leuchten hell vor deinem Blick.
      Deine Augen forschen nach den Sorgen und den Nöten,
      über die dein Fuß so mühsam oft getreten,
      klein und winzig wirken sie, von rückwärts aus gesehn.
      Die Gedanken wie die kleinen Lämmer weiden
      auf den Blumenwiesen der erlebten Freuden.
      Möchtest du denselben Weg noch einmal gehen?
      Wenn du stillstehst, wirst du deutlich sehn,
      wie die Gegenwart wird zur Vergangenheit.
      Lebenswert sind solch beschauliche Minuten,
      Kraft zu schöpfen aus dem Quell des Guten
      für den Marsch ins Morgen, denn der Weg ist weit.
      Noch ein Blick ins Gestern, und dann heißt es:
      Weitergehn.

      Seid herzlichst gegrüsst!

      Rita

      • Franz Mali sagt:

        Liebe Rita,
        vielen Dank für dieses treffende Gedicht! Ja, es trifft etwas von dem, was ich erlebe!
        Herzlichen Gruss Franz

    • Franz Mali sagt:

      Liebe LausA
      ja, er hat uns offensichtlich ein- und überholt! Wir haben zwar die Telefonnummern ausgetauscht, aber nicht abgemacht, dass er uns seine Unterkünfte mitteilt, die er benutzt…
      Er meinte, er sei nach wie vor katholisch getauft, bei Jesuiten erzogen worden, aber inzwischen buddhistischer Mönch, der nach Jerusalem als Ziel Alexandria anstrebe. Aber er ass mit uns Fleisch und wollte ein Bier bestellen…
      Die Begegnung war sehr schön, spannend und interessant für alle! Danke für deine herzlichen Wünsche, LausA!
      Gruss Franz

  3. Barbara Jäger sagt:

    Meine lieben Pilger
    Ich bin zurück von meiner Pilgerreise. Bin zwar Kilometermässig nicht so weit gelaufen wie ihr, ich bin eher in seelische Tiefen abgetaucht und staune immer noch, was da alles vorhanden, gespeichert ist von meinem Leben: Alles. Meine 30-tägigen Exerzitien waren einerseits Erholung pur von meinem Alltag, andererseits allerstrengest Arbeit mit mir selbst. Mit meinen Ängsten, Verhaltensmustern konfrontiert zu sein, war nicht ganz einfach, aber heilsam. Ja, ich habe Heil erfahren.
    So wie Gott Mose vor den brennenden Dornbusch gerufen hat, hat er mich in die Exerzitien gerufen. Und der Boden, den ich dort betreten durfte, war im wahrsten Sinn heiliger Boden. Heilender Boden.
    Das so ein paar erste kurze Eindrücke von mir für euch. Ich war jeden Tag mit euch im Gebet verbunden und habe auch eure Verbundenheit – wie die von vielen anderen Menschen auch – gespürt. Das hat mich getragen. Ich bin gut zu Hause angekommen und finde mich erstaunlich gut zurecht im Alltag.
    Liebe Grüsse und bis bald einmal am Telefon.
    Eure Barbara

    • Franz Mali sagt:

      Liebe Barbara,
      es freut und bewegt mich, dass du so schöne 30-tägige ignatianische Exerzitien machen konntest! Es ist einfach berührend! Danke für dein tägliches Gebet! Wir haben auch häufig für dich gebetet und oft von dir geredet!
      Herzlich Franz